Michel Foucault und die biopolitische Klarsicht des Barkeepers

foucault

Die biopolitische Klarsicht des Barkeepers

Kurz vor der Treppe in den Keller begrüßt den Besucher ein Schild mit der Aufschrift "Hier beginnt das Ausland".
Doch zur Paßkontrolle muß in der Lychener Straße 60 am Prenzlauer Berg niemand schreiten, zwei Euro Eintritt genügen, um in diesen Club zu gelangen, der wohl zu den diskursfreudigsten in der Berliner Szene gehört.

Das "Ausland" bietet seinen Besuchern einen minimalistisch-betonverputzten "Raum für interdisziplinäre Kunst, Musik und Theorie". An diesem Abend legt keiner Platten auf, es sind etwa dreißig Freunde der Theorie zusammengekommen, vorwiegend nachdenkliche Menschen in ihren Zwanzigern, die Rollkragenpullover tragen, sich ihre Zigaretten selbst drehen.

Sie gehen der Frage nach, was Biopolitik ist oder sein könnte. Stefanie Graefe, Redakteurin der ziemlich links angesiedelten Zeitschrift "Fantomas", versucht sich zunächst an einer Beschreibung dessen, was Biopolitik nicht ist: das, was "Feuilletons, Staatsminister und Ethikkommissionen" darunter verstehen, nämlich die Diskussion um Stammzellen, Präimplantationsdiagnostik, Klonen.

Weichgespült sei der Begriff, derart verwendet, da er seine herrschaftskritische Herkunft verliere, sein Potential, "die umfassende Unterwerfung des Lebens unter Kapitalismus, bürgerliches Leben und herrschende Arbeitsverhältnisse" sichtbar zu machen. Niemand bejaht die Frage der Moderatorin, ob eine weitere grundsätzliche Klärung des Begriffs denn vielleicht zu langweilig sei.

Es folgt ein Miniseminar über Michel Foucault und sein Konzept der "Biomacht". Während früher Herrscher ihre unliebsamen Untertanen direkt hingerichtet hätten, zielten neuere Herrschaftsformen stärker auf die Normierung der Lebenden, "auf die Dressur des individuellen Körpers durch Schulen, Gefängnisse, Kasernen und des gesellschaftlichen Körpers durch Bevölkerungspolitik". Leider, sagt Graefe, habe Foucault sein Konzept nicht wirklich fortentwickelt und sei dann "zu früh gestorben".

Es gebe aber drei Weiterführungen dieses linken Biopolitikbegriffs. Giorgio Agamben habe die Lebenssortierung und Lebensvernichtung des Holocaust in den Mittelpunkt gestellt. Michael Hardt und Antonio Negri erweiterten in ihrem Buch "Empire" die Biopolitik um Arbeit und Produktionsbedingungen. Die Globalisierung mache nämlich den einzelnen Körper bis hin zu seinen Bestandteilen zur Ware. Eine weitere Denkrichtung beschäftige sich mit der "flexiblen Selbstnormierung", also der freiwilligen Anpassung von Menschen an ökonomische Trends, wie sie etwa in der "New Economy" zu beobachten gewesen sei oder nach der Abschaffung von Stechuhren bei IBM.

Nun kommt es zur Diskussion. "Wollt ihr jetzt im Sinn der Biomacht kämpfen?" fragt einer. "O Gott, was soll das denn heißen?" lautet die Antwort Graefes. Wie die Anti-Globalisierungs-Bewegung biopolitisch tätig sei, will einer wissen. Weil sie international und vernetzt sei und den öffentlichen Raum zurückerobern wolle. Graefe erkennt daran das Problem: Die Linke wolle mit der Anknüpfung an die Biopolitik abgenutzte Universalbegriffe ersetzen, obwohl Biopolitik selbst ein solcher sei, sagt sie selbstkritisch.

Dann meldet sich überraschend der Barkeeper zu Wort. Wenn man das Wort Biopolitik auf alle Bereiche des Lebens ausweite, könne man über alles und gleichzeitig über nichts mehr sprechen, wendet er ein. Vielleicht sei es sinnvoll, den Wortsinn doch auf die politische Kontrolle des Biologischen am Leben zu beschränken.

CHRISTIAN SCHWÄGERL

via FAZ

  
 
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